Der Fall André Borchardt
25. Juli 2014
Burghausen, Landkreis Altötting, Oberbayern. Eine beschauliche Kleinstadt mit rund 19.000 Einwohnern. Im Fußballstadion findet heute ein Ligaspiel statt.
André Borchardt, der bereits eine Haftstrafe wegen Handels mit Cannabis verbüßt hat, ist auf dem Weg zu seiner Freundin. Im Hof des Wohnblocks spielen Kinder.
In Zivil suchen ihn dort Beamte der Polizei Rosenheim auf, da sie einen erneuten Haftbefehl vollstrecken wollen. André wird ein erneuter Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen. Im Nachgang konnte sich dieser Verdacht nie erhärten. Er hatte sich nicht erneut strafbar gemacht.
Als ihn die Polizisten verhaften wollen, rennt André weg. Auch dies stellt keine Straftat dar.
Ein Kopfschuss reißt André noch vor Ort aus dem Leben. Er wurde 33 Jahre alt.
Der Gebrauch der Schusswaffe […] [war] evident rechtswidrig
- Hubert Wimber, ehem. Polizeipräsident von Münster
Galerie
Juristische Nachbereitung
Ich vermisse meinen Sohn sehr,
aber leider haben die Beamten alles gemacht,
um diesen Polizisten zu schützen.
- Mutter des Getöteten
Die schleppenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Traunstein und der anschließende Gerichtsprozess gegen den Todesschützen sind mehr ein Trauerspiel denn ein Beispiel für deutsche Rechtsstaatlichkeit. Bereits der tödliche Dienstwaffengebrauch als solches hätte als Anfangsverdacht zur Eröffnung eines Strafverfahrens führen müssen. Doch trotz einer Petition mit 37.354 Unterschriften, etlicher Medienberichte und immer mehr bekannt gewordener Tatumstände kam es nie zur Anklage.
So berichten Zeugen, dass die Beamten vor Ort keine Erste Hilfe geleistet hätten. Auch ein Notarzt sei erst nach über einer halben Stunde eingetroffen – das nächste Krankenhaus wäre etwa sieben Minuten entfernt gewesen.
Auch blieb der Umstand völlig ungewürdigt, dass sich sowohl der Kollege des Schützen als auch mehrere spielende Kinder in der direkten Schusslinie befanden – es hätte auch sie treffen können.
Warum waren hier Rosenheimer Polizisten im Einsatz?
Was als irrelevantes Detail abgetan werden könnte, ist eigentlich eine essenzielle Frage, wenn es um die Prüfung der Tatbestandsmerkmale eines Mordes geht – und diesem Tatvorwurf muss bei einem solch ungewöhnlichen Fall definitiv nachgegangen werden. Anwohnerberichten zufolge haben die Beamten André B. nämlich keinesfalls „zufällig angetroffen“, sondern bereits stundenlang in unmittelbarer Nähe des Tatorts gewartet.
Wenn die Fahnder auf die Situation vorbereitet waren, warum haben sie dann so unbedacht gehandelt?
- Bericht der taz, 2014
Im Rahmen eines ordentlichen Gerichtsverfahrens hätte der Schütze von diesem schweren Vorwurf durchaus freigesprochen werden können – ein solches wurde allerdings nie eröffnet.
Gedenken
Bereits eine Woche nach Andrés Tod kamen vor Ort rund 200 Trauernde in Burghausen zusammen, um mit Grablichtern und stillem Gedenken Anteil zu nehmen.
Anlässlich des fünften Jahrestags hat der Deutsche Hanfverband München einen Gedenkmarsch mit Niederlegung weißer Rosen am damaligen Tatort organisiert.
Mehr als 70 Teilnehmer*innen haben gezeigt, dass die Erschütterung nach wie vor zu spüren ist.
In einem Brief an die Stadt Burghausen haben wir 2019 um Unterstützung zur Standortsuche für einen spendenfinanzierten Gedenkstein gebeten. Dies wurde damals abgelehnt, mit der Begründung, dass die Stadt nicht einverstanden sei.
Lassen Sie uns gemeinsam Burghausen gestalten.
Machen wir den Rechtsstaat sichtbar!
- Unser Brief an die Stadt Burghausen, 2021
Inzwischen wurde Florian Schneider (SPD) zum Bürgermeister von Burghausen gewählt. Wir möchten mit der Stadt in den Dialog eintreten und haben daher eine Eingabe verfasst, in der wir um seine Unterstützung für unser Vorhaben zur Errichtung eines Mahnmals für friedliche Polizeiarbeit werben: ein Zeichen für Gerechtigkeit, das weit über die Burgmauern der Stadt wirken kann.